Der Komponist Robert HP Platz
Die Idee eines prozeßhaft sich entwickelnden Werks zeigt sich im Keim
schon in den frühen Stücken von Robert HP Platz. Im Laufe seines
nunmehr über ein Vierteljahrhundert sich erstreckenden Schaffens
gewinnt sie nach und nach an Konturen, bis sie schließlich in der
Komposition Grenzgänge Steine für Sopran, 2 Klaviere und Orchester
(1989-93) klar zu Tage tritt. Es geht dabei nicht um ein work in progress
im Sinn eines tendenziell unabge-schlossenen Einzelwerks, auch nicht
einfach um zyklische Reihung. Die Kon-zep-tion ist anders und
unverwechselbar. Robert HP Platz betrachtet heute sein ganzes Werk als
eine kontinuierlich sich entfaltende Großarchitektur, in der die
Einzelwerke sich zu losen Werkkomplexen gruppieren. Als Bindeglieder
zwischen ihnen fungieren Motivik, Instrumentation oder die
werkübergreifende Organisation von tonalen Zentren und Strukturtypen.
Das geschieht aber nicht in quasi-serieller Weise durch Vorausplanung
aller Strukturdaten. An die Stelle der strategischen Kalkulation tritt
bei Platz die mehr intuitive Auffassung eines organischen Wachstums,
dessen Entwicklungsgesetze sich aus dem Prozess selbst ergeben. Die
Entwicklung verläuft nicht zielgerichtet, sondern bildet einen
kontinuerlichen musikalischen Fluss, der sich in allerlei Windungen und
Verästelungen seiner unbekannten Bestimmung entgegentastet.
Innerhalb
solcher Konstellationen können einzelne Werke sich überlappen oder
ineinander verkeilen, was auch teilsimultane Aufführungen ermöglicht,
oder sie bilden lose, um Gravitationszentren gruppierte Konglomerate
oder Übergangsformationen. So ist eine Metakomposition von enormen
Dimensionen im Entstehen begriffen; sie hat indes mehr konzeptionelle
Bedeutung, als daß sie auf eine auf tatsächliche Realisation hin –
zumindest nicht in ihrer Gesamtheit – ausgerichtet wäre. Was die
Struktur dieses Großverlaufs, das Nach- und Ineinander der
individuellen Werke, angeht, so spricht Robert HP Platz von einer
“Formpolyphonie”. Einen Ausschnitt daraus konnte man 1996 bei den
Donaueschinger Musiktagen hören: In einer einzigen Aufführung
erklangen, teilweise ineinander verschachtelt, die Kompositionen Andere Räume (Tonband, Schlagzeug), Turm und Weiter (Orchester), nerv II (Violine, Klavier, Bläser) und Echo II (Violine, Klavier, Bläser, Schlagzeug).
Während
die Großarchitektur eher intuitiven Gesetzmäßigkeiten folgt, bleibt das
Einzelwerk stets bis ins Detail durchgearbeitet – ein Nachhall des
seriellen Denkens, mit dem sich Platz gründlich auseinandergesetzt hat.
Doch auch hier hat die spontane künstlerische Entscheidung Vorrang vor
abstrakten Festlegungen.
Hintergrund dieses neuartigen Versuchs
einer Synthese von Makro- und Mikrostruktur ist das Streben nach dem
“integralen” Kunstwerk, das sich als Summe aller künstlerischen
Erfahrungen versteht und die Welt, wie sie dem kompositorischen Subjekt
erscheint, möglichst umfassend abbilden soll. Ein erster Versuch,
diese Problematik zu bewältigen, war das exuberante Großprojekt Schwelle
(1973-78), das programmatisch am Anfang von Platz’ kompositorischem
Werdegang steht. Von ihm wurden jedoch nur die Teile I und III (München
1979, Köln 1981) realisiert; eine Gesamtaufführung aller sechs Teile
scheiterte an den organisatorischen Bedingungen. Diese Erfahrung bewog
später den Komponisten, Integralität nicht mehr im Einzelwerk zu
erzwingen, sondern innerhalb von Werkkonstellationen – letzlich: im
Lebenswerk – anzustreben.
Robert Platz hat bisher für alle Gattungen
komponiert, oft in Verbindung mit Tonband: Musiktheater,
Orchesterwerke, Ensemblemusik, Kammermusik und Solostücke. Aber auch
Musik für Kinder, witzig und nie banal, steht in seinem
Werkverzeichnis. Das Spektrum seiner künstlerischen Interessen ist
breit. Den wichtigsten Platz neben dem Komponieren nimmt das Dirigieren
ein, das er zuerst als Leiter des 1979 von ihm gegründeten Ensemble
Köln, heute zunehmend auch als Gastdirigent bei internationalen
Orchestern und Ensembles betreibt. Die Freundschaft mit bildenden
Künstlern und Schriftstellern, eine bis in die Kinderzeit
zurückreichende Affinität zu Frankreich und, seit 1992, die
Beschäftigung mit der japanischen Kultur sind weitere
Inspirationsquellen für sein facettenreiches musikalisches Weltbild.
Max Nyffeler
aus: Werkkatalog Robert HP Platz
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags G. Ricordi & Co., München
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