Robert HP Platz
Werkkommentar

dur moll hören

(english version below)
 

Vor langen Jahren skizzierte ich eine umfangreiche Komposition für großes Orchester, im Raum verteilte Solisten und Videozuspielungen, denen Sigmar Polkes Traum des Menelaos zugrunde liegen sollte. Polke war aber schon zu krank, um die Videos selbst herzustellen, und so zerbrach der Traum einer europaweiten Tournee mit diesem groß angelegten Werk. Polkes Werk blieb mir gleichwohl nahe, und so freue ich mich, nun wenn auch im viel kleineren Rahmen doch noch eine von Polkes Kunst inspirierte Komposition vorzulegen. Streng genommen sind es mehrere Kompositionen:
 

Bei dem Zyklus dur moll hören handelt es sich nicht um den Versuch, ein längst versunkenes Schiff tonaler Bezugsysteme neu zu heben, sondern um unabhängige (im Hinblick auf Simultanaufführungen aber in eine Gesamtpartitur umnotierte) Kompositionen unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Besetzung.
 

hören für Klavier & Elektronik (aber ohne Lautsprecher: der Resonanzboden des Flügels wird durch Transducer zur Membran eines virtuellen, gigantischen Lautsprechers, sodaß die elektronischen wie auch die natürlichen Instrumentalklänge aus dem Flügel zu hören sind) behandelt die Wahrnehmung von klavierähnlichen und -entfernten Klängen als Klavierklang (da ja für den Hörer auch die klavierentfernten elektronischen Klänge als Klavierklänge wahrgenommen werden, da sie aus dem Instrument selber kommen).
 

dur (für Flöte und Klarinette) und moll (für Streichtrio) sind inspiriert durch zwei Graphiken gleichen Namens von Sigmar Polke, jeweils zwei Gesichter zeigend - eines traurig, eines eher belustigt... wodurch sich die Charaktere nicht nur innerhalb eines Blattes ergänzen, sondern die beiden Blätter (und damit auch die beiden Stücke) in einem sich gegenseitig ergänzenden/kommentierenden Zusammenhang stehen.
 

Trotz augenscheinlicher direkter Entsprechungen (partiturmäßig von links nach rechts gelesen „beginnen" beide Blätter links mit punktuellen Elementen und lösen sich nach rechts in freiere Lineaturen auf) habe ich eher inspirativ auf Polkes Bilder reagiert. Eine direkte Entsprechung musste ich gleichwohl einkomponieren: in moll hatte Polke als Fremdkörper ein grünes Blatt mit dem Bild eines Froschs hineingeklebt. Wie sollte ich damit umgehen...?
 

Köln, Oktober 2015

 
Robert HP Platz

 
 
 

 
 
dur moll hören
 

Long years ago, I was sketching a composition for a large orchestra, with soloists distributed in space and with videos, taken from Sigmar Polke's Traum des Menelaos. But Polke was already too ill to make the video himself, and so my dream of a large tour through major concert halls in Europe with this vast piece dissolved. Polke's work however was always close to me, and I am happy to finally (even if on a much smaller scale) present a composition, inspired by Polke's art. Actually, it is more than one composition:
 

The cycle dur moll hören is not an attempt to reactivate a long sunken ship of tonal systems, but a cycle of independent pieces that nonetheless can be played polyphonically verticalized at the same time.
 

hören for piano & elektronics (no loudspeakers involved: by means of transducers, the resonance box of the piano is turned into the membrane of a virtual, gigantic loudspeaker, so that both natural (instrumental) and electronic sounds will come from the instrument itself) is dealing with the perception of piano-sounds and sounds more distant from the piano esthetics as piano-sounds (after all, to the listener, both piano-like and piano-unlike sounds become piano sounds, since they all come from the instrument).
 

dur („major", for flute and clarinet) is in the same way as it's sister piece moll („minor", for string trio) inspired by a serigraphy by artist Sigmar Polke bearing the same name - each of Polke's two works shows two faces - one rather sad, the other one more jovial... the characters complement each other in the same way the two works complement or comment each other.
 

In spite of some seemingly obvious parallels (read like a score from left to right, both pictures „begin" with rather pointillistic structures on the left and dissolve in free figurative lines towards the right), I reacted to Polke's work in a rather inspirative way. Although...: one direct translation needed to be included: Polke decided to glue a little green paper with an image of a frog into moll. Now, how should I deal with that...?

 

Cologne, October 2015

 
Robert HP Platz