Robert HP Platz
Werkkommentar

SCHREYAHN


SCHREYAHN  besteht aus 6 Sätzen ("Büchern"), die in 3 Zentren geordnet sind:
 

Buch
 
I Vcello Solo
Buch

 
II
III
Vcello Solo
Flöte & Vcello
Buch


 
IV
V
VI
Vcello & Flöte + 2 Klaviere
Trompete Solo
Blasorchester

Jedes Buch hat seinen Raum, seine Zeit.
Die zeitliche Ordnung in drei Zentren mit sich überlappenden Sätzen wirkt bis ins kleinste Detail der musikalischen Struktur nach: Elementarteile, die sich nur mit bestimmten anderen verbinden, loslösen, frei bleiben...
statische und dynamische Verknüpfungen eingehen...

*  *  *

Dieses Stück hat eine Geschichte   -   natürlich hat jedes meiner Stücke eine Geschichte; dafür schreibe ich wenig genug, daß sich jedes Stück SEINE Zeit für eine eigene Geschichte nehmen kann. SCHREYAHN  hat eine besondere Geschichte...

*  *  *

Nach Schreyahn kam ich durch einen Freund, für dessen Werk ich mich schon seit Jahren eingesetzt habe. Als ich die Skizzen für dieses Stück schrieb, wurde seine Arbeit durch eine furchtbare Krankheit unterbrochen; und wenn ich die von ihm entwickelten Techniken auch nicht anwende, so entstand SCHREYAHN doch wie eine Hommage an ihn...

*  *  *

Die ersten Skizzen entstanden für Bratsche und Instrumentalgruppen; während der Arbeit veränderte sich die Konzeption, ich entschied mich für das Vcello. Ich rief daraufhin Siegfried Palm an, erhielt seine Zusage und schrieb das Stück für ihn.

*  *  *

Schreyahn liegt nur einen Fußmarsch von der DDR-Grenze entfernt. Am Anfang meiner Arbeit war diese Grenze unüberwindlich, in ihrer Unmenschlichkeit so unverständlich wie der Peitschenschlag eines Riesen quer durch den Wald, wo ich manchmal meine Spaziergänge machte. Trotzdem haben mich diese Grenzgänge angezogen, wie magisch...

Dann  -  ich war im fortgeschrittenen Skizzenstadium und gleichzeitig noch in PIÈCE NOIRE für IRCAM   -   brach die Grenze auf, in wenigen Tagen entstand eine Straße, wo bislang alle Wege im Nichts endeten. Und bei meiner ersten Fahrt über diese Straße steckten mir kleine Jungen Zettel mit ihren Adressen ins Auto: für sie ein Bote aus einer fernen Welt...
Ich hoffe, daß sich die Partitur von alldem etwas bewahrt hat.


*   *   *

Viel Zeit in Schreyahn habe ich im Gespräch mit dem Lyriker Heinz Kattner verbracht. Sein Gedicht habe ich in meine Komposition aufgenommen:

ABEND HINTER SCHREYAHN   (für Robert HP Platz)


                Von der Landschaft haben wir nur
                noch eine Ansicht gemeinsam
                verlassen wir das Haus mitten im
                Gespräch während Nebelstreifen
                den Wald vom Boden trennen die
                Bäume schweben wie eine Erscheinung
                die Leiber der Pferde auch unter der
                großen Kastanie rostet die Erde
                wo wir stehen willst du den Geruch
                benennen auf dem Asphaltweg
                Spuren vom Acker im Reifenmuster
                zeigst du mir die ersten Sterne
                fliegt ein Schatten vorbei und ruft
                ich erzähle was man von Käuzen sagt
                und du sagst diesen einfachen Laut
                wieder und wieder verlangsamt
                hörst du dann die unglaublichen
                Abstufungen in einem einzigen Schrei

                (Januar 1990, Heinz Kattner)